Victoria und Lea helfen ohne Bürokratie
Medizinische Hilfe ohne Bürokratie
Bettina Piwkowski hat Victoria Köster und Lea Schwerin besucht
Lea und Victoria empfangen mich mit Kaffee und beginnen von ihren Werdegängen zu erzählen: beide haben zuerst eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegerin gemacht, bevor sie an die Uni Lübeck gewechselt haben. Lea studiert Medizin und Victoria Gesundheitswissenschaften.
Die Studentinnen sind seit ein paar Jahren Mitglieder im Medibüro. Dieses versteht sich als reine „Vermittlungsagentur“ für Menschen, die gar nicht oder nicht umfassend krankenversichert sind, um ihnen eine nötige ärztliche Versorgung zukommen zu lassen. Das beinhaltet sowohl einfache ärztliche Untersuchungen als auch lange Schwangerschaftsbegleitungen bis zur Geburt und darüber hinaus die Behandlung schwerer Erkrankungen.
Die Umsetzung dieser Idee erfordert ein breites Spektrum an ehrenamtlicher Arbeit: Organisation der Vermittlung, Beschaffung von nötigen finanziellen Mitteln („ den Mut, nach Geld zu fragen“, so Victoria) und die eher in diesem Verein unbeliebte aber so wichtige Öffentlichkeitsarbeit. Um die nötigen Schritte zu besprechen, treffen sich die Mitglieder derzeit noch mangels Räumlichkeiten in privaten Wohnungen. Da sowohl personell als auch finanziell der Bedarf nicht umfassend gedeckt werden kann, sollen Umstrukturierungen helfen, unnötige Vorgänge, die zu viel Arbeitszeit binden, zu vermeiden. Mit den vorhandenen Kapazitäten stößt der Verein, der ausschließlich nur von 10-12 Ehrenamtlichen geführt wird, bereits meist jetzt an ihr Limit. Es werden dringend mehr Ehrenamtliche auch gerne außerhalb des Umfeldes der Uni gesucht, die den Verein mit Telefonarbeit, Einspeisung von empfindlichen Daten oder wenn wieder ein Raum zur Verfügung stehen könnte, auch mehr tägliche Präsenz vor Ort. Wobei es schon hilft, mit vielen anderen Medibüros im Kontakt zu sein, um sich an deren Strukturen und Vorgehensweisen orientieren zu können.
Die alljährliche Geldbeschaffung gestaltet sich aufwendig und mit den dann vorhandenen Mitteln ist es „sehr schwer zu kalkulieren weil wir nie vorher wissen, was wir im Jahr brauchen, am Anfang des Jahres nicht wissen, können wir teurere Behandlungen finanzieren.“ So ist die Aussicht auf eine Förderung der Stadt eine große Erleichterung für den Verein: 2025 soll das Medibüro über ein festes Budget und eventuell auch Räume verfügen können.
Jeder der Ehrenamtlichen kann sich nach Interessenlage einbringen. Während Lea sich eher für die Kommunikation mit Politikern interessiert und ihr genau diese Arbeit viel Spaß macht und somit viel zurückgibt, versucht Victoria die ökonomischen Gesichtspunkte zu beachten auch in Hinblick auf mögliche Projekte. Andere Medizinstudenten hingegen betrachten aus medizinischer Sicht die nächsten notwendigen Schritte für die Patienten. Aus diesem Grunde wurden der Interessenlage entsprechend spezielle Arbeitsgruppen gebildet.
Das größte Problem sehen beide darin, dass es zu wenig publik ist, wieviele Menschen sowohl internationaler als auch deutscher Herkunft ohne hinreichende oder auch gänzlich ohne Krankenversicherung auskommen müssen. „Wenn mehr Menschen wüßten, wie viele Menschen in Unsicherheit leben, keine Krankenversicherung zu haben, würden wir auch viel mehr Gelder bekommen.“ Die Betroffenen sind oft viel zu schambehaftet und suchen erst Hilfe, wenn die Schmerzen schon sehr stark sind. “Es ist doch für jeden nachvollziehbar, dass es ein schlimmer Gedanke ist, dass wenn es einem schlecht geht, man nicht weiß, ob man Hilfe bekommt.“
„Man muss sagen, dass medizinische Versorgung ein Menschenrecht ist, welches in Deutschland nicht erfüllt wird.“ Dieser wichtige Satz, von Lea mit viel Innbrunst geäußert, steht plötzlich im Raum und erschüttert mich. „Es gibt klare Definitionen, dass es nicht auf eine Notfallversorgung begrenzt werden darf“ und Deutschland wurde in der Vergangenheit vom UN-Sozialausschuss wegen der nicht ausreichenden Versorgung stark kritisiert.
Darüberhinaus frustriert es beide, die sehr unterschiedlich gehandhabte Umsetzung der Politik, Menschen einen Versicherungsstaus politisch zu ermöglichen. Sie sehen durch jüngste Vorkommnisse, dass es durchaus möglich war, innerhalb kürzester Zeit Gelder für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zur Verfügung zu stellen, aber es nicht umgesetzt wird, alle Versicherungslücken in Deutschland wirklich zu füllen. Besonders stark hat es beide mitgenommen, als ein Politiker sich öffentlich über eine angeblich überzogene medizinische Versorgung von Asylsuchenden äußerte. Diese Bevölkerungsgruppe kann dem Gesetz entsprechend nur eine stark eingegrenzte Versorgung bekommen.
Wenn dann Patienten abgewiesen werden müssen, weil die Behandlungen nicht bezahlt werden können, wie z.B. Krebsbehandlungen oder andere größere Operationen, geht es den Beiden sehr nah. „ Das ist dann sehr hart.“
Aber es gibt auch sehr schöne Momente, die den Beiden viel zurück geben: „Für mich war der schönste Moment, als ich eine Schwangerschaft betreut habe.“ Als nach vielen Gesprächen und viel Organisation während der Schwangerschaft das Kind gesund zur Welt gekommen ist und alle glücklich waren, hat es Lea sehr erleichtert.
Dagegen finden Lea und Victoria ihre vergeblichen Bemühungen, eine hauptamtliche Stelle für den Verein zu bekommen auch entmutigend. „Es gibt aber auch Momente, in denen man nicht weiter kommt, in denen man ungehalten wird“
Das sind alles Rückschläge, die man erst einmal verkraften muss. Aber Victoria verliert nicht den Mut: „Es gibt viele Probleme aber die kriegt man gelöst oder man ist immer noch dabei sie zu lösen. Wir versuchen es nicht so negativ zu sehen“ So erwähnen auch beide, dass der Lerneffekt durch die Fülle der Aufgaben auch in Hinsicht ihres Berufsbildes sehr groß ist. Und schlussendlich: „Wenn man den kurzfristigen Erfolg sieht und einem viel Dankbarkeit entgegen gebracht wird oder wenn man die Unterstützungen aus den Praxen bekommt“ das macht etwas mit einem.
Ich habe zwei Menschen getroffen, die sich nicht entmutigen lassen von politischen Entscheidungen und die sich neben ihrem Studium und den Bemühungen, sich dieses zusätzlich zu finanzieren, ehrenamtlich für Menschen einsetzen, die ohne ihre Hilfe durch ein Raster unserer Gesellschaft fallen würden. Der sachliche aber sehr engagierte Umgang von Victoria und Lea mit der empfindlichen Thematik ruft große Hochachtung in mir hervor.
Da durch die natürlich gegebene Fluktuation der ehrenamtlichen Studenten immer wieder Nachwuchs gesucht wird für dieses umfassende Aufgabengebiet, dass die Arbeit im Verein beinhaltet, versucht das Medibüro neue Ehrenamtliche in Tandems an die neuen Aufgaben langsam heranzuführen. So können die Neuzugänge sich begleitet fühlen. Für jede Aufgabe gibt es verschiedenen Arbeitsgruppen, in die man hinein schnuppern kann.